Welttournee

Dreiundzwanzig. Das heutige Bitchbalett ist vorbei und der strömende Regen sieht aus als könne er Narben in meine Kopfhaut reißen. Ich denke Scheiße heilig, setze zum Schutz die Kaputze auf und stapfe durch völlig leergefegte Straßen zurück in die Zivilisation. Wolke Atem gibt die grobe Richtung vor. Alle fünfzig Meter steht eine Laterne, die hier aussehen wie Kruzi-Fixer und ein schwaches, oranges Licht auf den pockennarbigen Spiegel werfen, über den ich mich bewege und der dabei kleine Wellen schlägt. Und während ich so langsam jegliches Gefühl in meinen Fingern und Zehen verliere, kriege ich übelste Dramatik (kein Woher, kein Wohin, usw.) und übelste Angst (kein Warum, kein Wofür, usw.) und all die anderen üblen Begleiterscheinungen des Menschseins kriege ich auch. Das ganze Übel windet sich unter Zuhilfenahme einiger schwermütiger Takte (Prokofiev) in ungeahnte Tiefen, bis ich mir schließlich in die Augen pisse und dadurch erblindet plötzlich und hart gegen eine Tür scheppere.

Auf dem Bett liegt ein grauer Hirsch, der in Kürze sterben wird. Sein Atem geht flach und unregelmäßig. Ein Sabberfaden läuft ihm aus dem Mundwinkel. Auf der Bettkante sitzt eine Frau, die dem Tier auf einer lange vergessenen Art Trost spendet. Die Frau ist ebenfalls sehr alt und trägt ein Kleid aus dünnem silbrig schimmernden Stoff. Als Pointe trägt sie eine übertrieben pornöse Sonnenbrille im Gesicht. Ich falle auf die Knie.

Wir werden alle sterben, sage ich.
Idiot, sagt sie. Das Leben ist deine Welt-Tournee. Also benimm dich gefälligst wie ein Star.

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