Bonkers

Die Bude auf das Dreifache ihrer Größe gebläht und ich mache den Auftritt, entnehme die Klinke einer anderen Hand und presse mich in den länglichen Korridor ans Ende der Schlange der angesagten Nachzügler. Homeparty und es ist so voll, dass alle Gäste zu flacher Stoßatmung gezwungen sind. Kondensat an den Wänden, auf Gesichtern, Bierflaschen. In der Küche spielt ein bärtiges Röhrenhosen-Duo seelenlose Musik auf akkustischen Instrumenten, versucht sich an Tiefgang, irgendwas mit Psy im Namen und Krishna… weiter. Gesichter, die ich kenne und küsse, dazwischen andere. Mitte Korridor dann der Crossfade, hin zu Laut & Elektrisch. Ein Kugelblitz aus lachendem Gekreische zittert irgendwo da vorne, kann nichts sehen… wird das geil…
BIER? frage ich ein bekanntes Gesicht und der Blick weist voraus, Richtung Epizentrum. Schieben, kannichma, sorry… Im Dancefloor angekommen treffe ich Bonkers aus den Boxen, kann gar nicht anders und drehe umgehend lose, mittenrein, tanze den Húlà.
BIER? kreische ich und A heavy bassline is my kind of silence-
KEIN BIER!!!
WAS?!?!?!
Tatsächlich: Der Kühlschrank ist leer und traurig. Mit einer tragischen Geste lasse ich die Kühlertür zufallen und mein Kinn auf die Brust. Es ist wahrlich zum heulen. Cocktails rundherum, bunte Fingernägel. Aber kein Bier. Wohl Zeit für meine Nummer. Ich springe auf die Tafel, mache einen Purzelbaum über die Gesamtlänge des Tisches und stehe den Abgang sicher. Mit dem Rücken zum Publikum hebe ich langsam die Arme in die Figur Messias IV.
ICH WERDE BIER HOLEN! verkünde ich dem Volke.
Alles grölt, besonders, was Hoden hat.

Brauche zehn Minuten für den Flur. Das macht einen Meter die Minute. Dann bin ich raus. Unbekanntes Viertel. Ein Schwuler hat sich an meinen Arm geklemmt und zerrt mich in ein Einkaufszentrum auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Plötzlich sitzen wir an einer Bar, alles glänzt und teuer. Huch?
Jetzt wollen wir zwei uns erst mal richtig einen genehmigen, nicht wahr?
In langstieligen Gläser blubbern rosa Universen mit Olive. Ich lerne: Je teurer der Laden desto Sklave der Mischermann. Unser Exemplar ist der vollkommene Devot und verbeugt sich derart tief, dass er sich den Schädel an der Spüle einschlägt.
Alter, sage ich. Mensch!

Raus und weiter die Straße runter, kein Späti kein Garnichts. Schlage eine Richtung ein, dann eine andere. Fehlanzeige leuchtet über allen Versuchen. Fußgängerzone. Inzwischen taghell. Setze mich auf die Bank einer sogenannten Bierzelt-Garnitur und zeichne mit einem Bleistift irgendwelchen Zufall in die Innenseite eines gefalteten Papiers, nur so aus Langeweile, bis der Kellner kommt und mich vor der drohenden Ernüchterung rettet. Niemand kommt. Nur ein paar Passanten, die neugierige Blicke über meine Schulter werfen und wissen wollen, was ich da mache. Ich klappe das Papier zusammen, und mache eine Geste, wie um Tauben zu verscheuchen während sich ganz von selber auf der Oberseite des gefalteten Papiers krakelige Striche bilden. Ein Wunder! Jetzt sind da schon eine ganze Menge Passanten, die da hinter mir stehen und wissen wollen, was abgeht und ich sehe mich gezwungen, das Papier aufzuklappen um ihnen die volle Pracht meiner Symbole in die Fressen zu schleudern.

Weiter durch ein Geschäft für Liegen. Also für solche, auf denen die Patienten liegen wenn sie Pediküre haben. Der Laden ist ein Durchgangsladen, da muss man durch wenn man zum Späti will, und außerdem ist der Laden voll mit erstklassigen Frauen. Die liegen da rum, sitzen in kleinen Grüppchen beisammen, tuscheln, fraueln. Ich trete locker ein und alle hundert Augen verdrehen sich schlagartig in meine Richtung.
Oooh, ein Maahannnn!
Oooh, mit einem Poohoooo!
Oh seht nur, diese Schenkellllllll!
Man umzingelt mich umgehend, betastet meinen Arsch, Schwanz und Sack, sucht nach Muskeltitten und Bizep, prüft die Qualität meiner Haare zwischen Daumen und Zeigefinger. Scheiße. Ich stolpere los doch man folgt mir, tausend Hände überall, reiße mich los, falle in den nächsten Laden, dasselbe Spiel, tausend Weiber, alle irre… HIMMEL… Ich beginne zu rennen, angetrieben vom Tackern der Millionen Absätze dicht hinter mir doch ich bin Adidas und bald tackern nur noch wenige mit. Stürze von einem Laden in den nächsten
TACKERTACKERTACKER TEPPICHTEPPICH TACKERTACKERTACKER

PERSONAL
steht an der Tür und ich performe mit quietschenden Sohlen eine Vollbremsung und biege sofort da rein, tagelanger Gang mit Schränken links und rechts. Sicherheit. Doch dann geht wie im Hollybuster die Tür auf und ein langes Bein erscheint, ein enges Kleid, Titten, die unbedingt da raus wollen aus dem engen Ding. Ich reagiere ninjalike, reiße einen der Schränke auf, stoße die pralle Madame da rein und knalle die Tür vor ihrer Nase zu.
ZIEH DICH SCHON MAL AUS!!!

Es ist ein Alptraum. Aber jetzt ist er vorbei. Ich stehe neben dem kleinen Springbrunnen und da oben, keine hundert Meter voraus und above, leuchtet in weißroten Lettern HAUPTBAHNHOF und wie ich die Dinge sehe, geht es ab hier und sofort aufwärts. Hinauf zum Eingang der Erlösung führt eine breite Treppe, rechts und links davon Rolltreppen, doch ich nehme die Treppe, denn so ein episches Finale will abgeschritten werden. JEDOCH: Bei Schritt Drei auf dieser Treppe sinkt mein linkes Bein langsam aber stetig in die Stufen ein, ich versuche einen weiteren Schritt, doch das ist wie der ultimative Kaugummi. Ich stecke fest in Treibsand, einer beschissenen Zeitlupe… diese Schweine. Gleichzeitig ertönt Klaviermusik und die Stimme des Künstlers:
„Unser Alltag ist geprägt von Zeitdruck und Hektik. Immer muss alles sehr schnell gehen. Wir eilen von einem Termin zum nächsten. Ohne Pause. Ohne Rast. Dieses Werk will ihnen helfen durchzuatmen. Nutzen sie die Langsamkeit dieser Installation für die Pause, die sie sich verdient haben. Entschleunigen sie für einen Augenblick ihr Leben…“

VERDAMMTE ARSCHGEFICKTE INZUCHT!!!

Als ich schließlich zurück auf der Party bin, ist nicht mehr viel übrig. Die Küche ist verwüstet und leer, der Flur ist verwüstet und leer. Im hinteren Zimmer liegt ein Dutzend gestapelter Leichen und schnarcht. Geht mir am Arsch vorbei. Ich tue so als wär nichts. Habe nicht vor, nach dieser verschissenen Odyssee einfach beizudrehen und knipse klickklack die Musik an, räume polternd eine perlige Flasche Bier nach der anderen in den Kühlschrank. Mit einem Seitenblick drehe ich den Volume-Regler Richtung Max.
EYYYY, MACHSTN DA???
SPINNSTE???
HMMM???
WAS GEHTN?!
ALTAAA!!!

Drehe mich um und grinse Breit in ruinierte Gesichter, die langsam wieder zu sich kommen. Hinter mir fällt die Kühlschranktür zu. Zweidrei von den Brüdern grinsen verschmitzt als sie die leeren Tüten auf dem Boden entdecken, da geht noch was, da geht noch was… Meine Jünger! Ist doch immer Verlass drauf… Und plötzlich schießt mir der alte Kugelblitz durch den Schädel und wirbelt mich rum und in einem schrillen Schrei der Verzweiflung reiße ich den Kühlschrank auf-

Kein Bier.

linkesaugehinkt_de_20160307_wasser